Am 18.05.2022 startete im Industriepark Schwarze Pumpe das Verbundprojekt „AFiin“ der BTU Cottbus-Senftenberg und der MCR Engineering Lausitz GmbH, einem Tochterunternehmen der LEAG. Im Fokus steht die Forschung an einem Metalldruckverfahren zur additiven Fertigung großdimensionaler Maschinenbaugruppen.
Strukturwandel in der Lausitz – dieses Thema bestimmt immer mehr den Arbeitsalltag in der Region. Es ist ein Prozess, der mit viel Engagement und Innovationswillen in Gang gebracht werden muss – das weiß auch Ronny Sembol. Er ist Projektleiter von MCR Metal Print, dem Unternehmenszweig der LEAG-Tochter, der sich mit Schweißverfahren zur additiven Fertigung befasst. Es ist ein besonderer Tag, an dem wir sprechen. In der Kick-Off-Runde fällt der Startschuss für ein wegweisendes Kooperationsprojekt,das genau dieses Ziel verfolgt: Gemeinsam mit dem Lehrstuhl Füge- und Schweißtechnik (LFT) der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg (BTU) geht „AFiin“ ins Rennen.“ Hinter der Bezeichnung verbirgt sich der Projekttitel „Additive Fertigung großdimensionaler Maschinenbaugruppen für kurzfristige Ersatzteilbereitstellungen als Bestandteil eines integrierten Instandhaltungskonzepts“. Er lässt erahnen, wie komplex das Thema wirklich ist. Zwei Jahre lang wird das Projekt im Rahmen der WIR!-Initiative „Lausitz – Life & Technology“ aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) mit 450.000 Euro gefördert.
Mit WAAM zum Maschinenbau-Dienstleister der Zukunft
„Bereits seit 2018 findet in der LEAG ein strategischer Entwicklungsprozess in Reaktion auf den Strukturwandel in der Region statt“, erläutert Ronny Sembol. „Im ersten Schritt hat man sich damals dazu entschlossen, Geschäftsfelder marktnah auszuweiten. Für uns hieß das: In der Instandsetzungswerkstatt der LEAG arbeiten heute etwa 250 Mitarbeiter mit großen Maschinenbauteilen, Tagebaugeräten und Schienenfahrzeugen. Unser Ziel ist es im Jahr 2039 in der gleichen Größe vorhanden zu sein, nur dass das Produktportfolio dann ein anderes sein wird.“ Die Kompetenzen, das Know-how, der große Maschinen- und Anlagenpark, die Strukturen – alles sei da, man müsse es nur nutzen. Aber wie? Über diese Überlegung sei man auf das Thema der Additiven Fertigung im Zusammenhang mit großen Maschinenbaugruppen gestoßen.
Das Ergebnis eines ersten Pilotprojektes mit der BTU Cottbus-Senftenberg liegt an diesem Tag gewichtig auf dem Tisch des Beratungsraumes. Ein Schweißknoten der per WAAM Verfahren schichtenweise, von unten nach oben aufgebaut wurde. „Wir haben typische Anforderungen, die ein Kunde an unseren Bereich stellen würde, an die BTU gegeben und haben damit in Kooperation dieses Werkstück entwickelt, das unsere Anforderungen erfüllt“, erklärt Sembol. Dabei sei die BTU der wissenschaftlich technische Partner in der Konstellation. MCR lege den Fokus auf die Anwenderseite, um das Projekt auf wirtschaftlich vermarktbares Niveau zu heben. „Das Thema der kurzfristigen Beschaffung von Ersatzteilen ist für uns als Dienstleister in dem Sektor ein bekanntes Problem.
Auch vor den Lieferengpässen der heutigen Zeit war die Beschaffung solcher speziellen Ersatzteile oft mit langen Wartezeiten verknüpft. Jetzt hat sich die Situation sogar noch verschärft. Guter Rat ist da teuer. Auch die kurzfristige Herstellung von Ersatzteilen mit kleinen Losgrößen ist normaler Weise ein Problem. Wir streben mit unserem Projekt insgesamt die Verkürzung der Gesamtreparaturzeiten an.“ Reduzierte Stillstandzeiten und Lagerkosten und somit schließlich die Steigerung der Effizienz, das alles werde für die Unternehmen immer wichtiger. „Da hängen Lieferzeiten hinten dran, da hängen Mitarbeiter hinten dran. Mit diesem Fokus gehen wir da rein.“
Die Zielsetzung von „AFiin“
„Wir wollen auf den gesamten Prozess schauen und einen vollständig integrierten Instandhaltungsansatz bieten“, sagt Sembol. „Das heißt die komplette Schadensbehebung von Ausbau, Befundung, Ersatzteildruck, über den Einbau und die Qualitätssicherung soll aus einer Hand erfolgen. Was interessant ist: Wir können zudem Ersatzteile kreieren, ohne dass eine technische Zeichnung oder Dokumentation nötig ist. Das ist unser Benefit, denn bei uns ist ein 3D-Scan möglich und uns stehen Materiallabore zur Verfügung. Außerdem können wir auf unsere eigene Zerspanung und auf eigene Monteure zurückgreifen.“ Das sei die Zielstellung, die man am Ende erreichen wolle – Ziel des Verbundprojekts „AFiin“ ist es nun aber erstmal, am Ende der zwei Jahre mindestens ein großdimensionales Ersatzbauteil als Technologieträger zu fertigen. „Dieses soll dann als Beispiel dafür dienen, dass unser Verfahren funktioniert. Wir wollen in den Unternehmen, unseren späteren Kunden, Vertrauen in das Produkt schaffen.“
Über diese Zielsetzung hinaus, haben alle Beteiligten den Nutzen für die Region selbst im Blick, der einen besonderen Schwerpunkt des Projekts bildet. „Wir wollen den Wirtschaftsstandort wertschöpfender Industrie in Schwarze Pumpe unbedingt erhalten und voranbringen. Mit der Schaffung eines einzigartigen Dienstleistungsangebots steigern wir natürlich auch das Potenzial, Arbeit in der Region zu halten und für die Zukunft zu sichern. Eine vielfältige Partnerstruktur, Kooperationen und Bündnisse stärken alle Seiten und schaffen Perspektiven“, so Sembol.
Herausforderungen in der Forschungsphase
Um diese Ziele zu erreichen, gilt es noch einige Hürden zu überwinden. „Während der zweijährigen Forschungs- und Entwicklungsphase werden drei Lücken auf technisch-wissenschaftlicher Seite zu schließen sein“, erklärt Sebastian Fritzsche vom Lehrstuhl Füge- und Schweißtechnik der BTU Cottbus-Senftenberg. „Das WAAM Verfahren, also die Additive Fertigung mittels automatisiertem Lichtbogenschweißverfahren, bringt viele Vorteile mit sich: Kostengünstige Anlagentechnik, nahezu keine Bauraumbeschränkung, Instandsetzen statt Ersetzen – was Kosten deutlich reduziert, eine breite Verfügbarkeit an Werkstoffen und die Möglichkeit, spezielle Werkstofflegierungen anwendungsangepasst herstellen zu können.
Für die wirtschaftliche Anwendung muss man Bauteile allerdings schnell herstellen können. Das heißt: schnell drucken. Dafür ist die sogenannte Aufbaurate entscheidend. Sie ist der begrenzende Faktor für die Bauteilgröße, aber auch für die Bereitstellbarkeit. In der ersten Pilotphase haben wir circa 1 Kilogramm pro Stunde gedruckt, was noch zu wenig ist. Zu diesem Zeitpunkt stand auch vordergründig die allgemeine Machbarkeit und die Erreichung der Qualitätseigenschaften im Vordergrund. Die Aufbaurate soll wesentlich gesteigert werden, bestenfalls auf 5 bis 10 Kilogramm pro Stunde.“ Das sei der erste, wichtige Punkt, so Fritzsche.
„Die zweite Baustelle ist die technologische Vor- und Nachbereitung der Produkte. Das umfasst so gut wie alles, das den angestrebten digitalen, vollständig integrierten Prozessablauf betrifft. Von der technischen Dokumentation bis hin zu banalen Dingen wie dem physischen Warenein- und -ausgang. Da sind noch einige Punkte zu lösen. Das letzte Arbeitspaket“, erläutert der BTU-Wissenschaftler, „befasst sich mit der Verzahnung von klassischem Maschinen- und Stahlbau mit 3D Metalldruck.“ Noch gebe es wenig Anwendungsbeispiele, weil sich die Bereiche bisher wenig berühren. „MCR hat den Vorteil, beide Sprachen sprechen zu können und kann als Wegbereiter eine Brücke zwischen den Bereichen schlagen.“
Vorteile der Fertigung mittels WAAM
Schon in der Pilotphase war klar, dass das Verfahren viele Vorteile in sich birgt und Potenzial besitzt, da es weniger planungs- und ausführungsaufwändig als das klassische Gießverfahren und gleichzeitig individueller als das Verbindungsschweißen mit Standardprofilen ist. „Zum Beispiel kann man Querschnitte und Formen leichter anpassen und ändern, so wie es etwa die Beanspruchung vorgibt“, sagt Fritzsche und bringt eine bereits gelungene Studie eines Schweißknotens an. „Es ist uns gelungen, die Beanspruchbarkeit eines einfachen Knotens um mehr als das Doppelte zu erhöhen – und gleichzeitig über 37% des Gewichts einzusparen, wodurch die Fertigungskosten und die Fertigungszeit sinken.“ Außerdem werde die Lebensdauer des Bauteils durch den optimierten Spannungsverlauf innerhalb des Werkstücks erhöht. Die Herstellung sei klar ressourcensparend, der CO2-Fußabdruck werde in der Bauteilherstellung, im Vergleich zu klassischen Verfahren, verringert.
„Dazu brauchen wir die entsprechenden Fertigungsstrategien und -prozesse, die wir entwickeln müssen, um wirtschaftlich zu fertigen und einen schnellen Output zu generieren. Mit der Entwicklung dieser Prozesskette wird uns die Möglichkeit gegeben, sogar noch weiter zu denken zum Beispiel in Form eines digitalen Lagers für Ersatzteile, das wir aufbauen können. Damit könnten wir schnell eine gute Verfügbarkeit für wichtige Bauteile erzeugen, die kurzfristig gebraucht werden. Das wäre ein großer Benefit“, ist sich Fritzsche sicher.
„Als Uni können wir das natürlich nicht allein umsetzen. Wir brauchen die Wirtschaft um als Forschung und Entwicklung zielgerichtet zu arbeiten, denn wir benötigen die entsprechenden Anwendungsszenarien für die Bauteile – den Input, die Randbedingungen. Wo werden sie eingesetzt,welche Werkstoffe werden benötigt? Die gezielte Entwicklung von Werkstoffen, um Prozesse voranzutreiben und nachher an der Designentwicklung der Bauteile zu arbeiten und schließlich das Wissen in Unternehmen zu transferieren, da wollen wir hin“, erläutert Fritzsche und schließt: „Hier bekommen Betriebe die Möglichkeit, ihre Innovationsfähigkeit zu stärken und somit auch Fachkräfte zu binden und der Abwanderung entgegenzuwirken. Durch diese Zusammenarbeit von Wissenschaft und Wirtschaft werden neue Ideen generiert und umgesetzt. So können wir dem Strukturwandel in der Lausitz erfolgreich begegnen.“
„Lausitz – Life & Technology“ – ein starkes Bündnis für den Strukturwandel
Ziel ist es, die Lausitz zukunftsfähig aufzustellen und mit neuen Forschungs- und Entwicklungsansätzen einen Beitrag zu einer innovativen und nachhaltigen Regionalentwicklung zu leisten.Vor über zwei Jahren haben sich die Konsortionalpartner Hochschule Zittau/Görlitz, Landkreis Görlitz, ULT AG und das Fraunhofer IWU mit einer gemeinsamen Strategie zur positiven Gestaltung des Strukturwandels in der Lausitz um ein Gesamtbudget von ca. 9MIO EUR beworben. Seitdem ist das Netzwerk des Bündnisses auf über 70 Partner angewachsen. Dabei konnten bis zum jetzigen Zeitpunkt bereits 15 Projekte erfolgreich an den Start gebracht werden.
Die additive Fertigung ist wie gemacht, um die Unternehmen der Region, die stark durch Maschinenbau, Anlagenbau und Schienenfahrzeugbau sowie der Metall- und Kunststoffverarbeitung geprägt sind, mit neuen Fertigungstechnologien weiterzuentwickeln und diese hier zu etablieren. „Das Forschungsprojekt AFinn setzt genau an dieser Stelle an und ist ein weiterer Schritt in der Umsetzung unserer Bündnisstrategie, die wir im technologischen Bereich mit der additiven Fertigung verfolgen“, so Leonie Liemich, Projektkoordinatorin von Lausitz – Life & Technology. Im Netzwerk werden drei Projekte im Bereich der additiven Fertigung gefördert, die die unterschiedlichen Prozessverfahren (pulverbasiertes SML-Verfahren/ drahtbasiertes EHLA-Verfahren oder drahtbasiertes WAAM-Verfahren) ein breites technologisches Know-how zur Verfügung stellt sowie den Know-how Transfer von der Niederlausitz bis hin zur Oberlausitz stärkt.
Der Ansatz der L&T-Strategie geht allerdings über die reine Entwicklung von Technologien hinaus. Eine weitere wichtige Dimension ist die Verzahnung von technologischen mit sozialen Innovationen – also neue Fertigungstechnologien mit Bildung und Weiterbildung zu denken. Denn ohne die ausgebildeten Fachkräfte und Experten, können die neuen Technologien in der Region nicht umgesetzt werden.